Tag 1 - Mittwoch, 22.08.2018

Tag 1 aus dem Tagebuch, geschrieben von meiner Frau !

 

"Es ist 4.35 Uhr. Ich wurde wach, weil ich dich husten hörte. Dein verdammter Raucherhusten, war mein erster Gedanke. Dann hörte ich dich würgen und kurz darauf polterte es an der Treppe. Ich spürte das etwas nicht stimmt und stand sofort auf, ging zur Treppe und da standst du, festgeklammert am Treppengeländer, kreidebleich und schweißgebadet. Dein Blick war starr und du sagtest ganz leise -was ist das-.. Ich rannte runter zu dir, damit ich dich halten konnte, aber da liefst du schon los Richtung Küche. Du wurdest ohnmächtig und sacktest zu Boden. Du hattest furchtbare Krämpfe. Das alles spielte sich binnen Sekunden ab. Ich habe immer geglaubt, dass ich in solchen Momenten nicht weiß, was ich machen soll, aber ich habe funktioniert, ohne über irgendetwas nachzudenken. Ich griff das Kissen von der Küchenbank und legte es dir unter den Kopf und drehte dich in Seitenlage. Dann wählte ich den Notruf.

Eine Dame der Leitstelle war am anderen Ende. Ich war total panisch, ratterte Name und Adresse raus und sagte das bitte sofort ein Rettungswagen kommen muss. Die Dame beruhigte mich, stellte mir Fragen und gab mir Anweisungen. Als du kurz aufhörst zu krampfen, übergibst du dich und greifst mit deiner linken Hand vor dein linkes Auge. Du sagst -roter Kreis-. Immer wieder greifst du danach. 

Endlich, der Rettungswagen kommt und ich muss dich für einen kurzen Moment alleine lassen, um die Tür zu öffnen. Die Sanitäter betreten das Haus und kümmern sich sofort um dich. Nur Sekunden später kommt ein Notarzt hinzu.

Als man dich anspricht, bist du kurz da, man merkte du wolltest etwas mitteilen, aber du kamst nicht auf die Worte. Du zeigtest auf deinen Kopf und sagtest -ich habe... ich habe...-  Der Notarzt machte ein paar Tests mit dir, du solltest mit beiden Armen nach ihm greifen und auch drücken, das machtest du so wie es sein sollte.  Man merkte das der Notarzt grübelte was wohl mit dir ist. Sie legten dir einen Zugang mit Infusion. Während der Arzt mit den Sanitätern überlegte, in welches Krankenhaus sie dich fahren, warst du plötzlich wieder da und sagtest -darf ich mal was sagen, ich habe hier  -Kopf-  und fasstest an deinen Kopf-  Direkt danach bekamst du wieder einen Krampfanfall.   

Sofort stand fest, sie fahren dich ins Diakonissenkrankenhaus nach Flensburg. Alle wurden sehr hektisch. Im Inneren spürte ich, mit dir ist etwas ganz ganz schlimmes passiert. Ich hatte das Gefühl, mein Körper verbrannte von innen. Die Sanitäter brachten dich in den Rettungswagen, wo sie noch einen Moment standen um dich zu stabilisieren, denn du warst permanent am Krampfen. Sie fuhren los.

Da stand ich nun auf der Auffahrt. Ich wusste nicht was ich zuerst und zuletzt denken sollte und bemerkte erst jetzt, das ich außer einem Schlübbi und einem Trägertop nichts am Leib trug. Egal. 

Sogar unsere Hunde hatten sich zurückgezogen ins Wohnzimmer und haben von Anfang bis Ende keinen Ton von sich gegeben, absolut untypisch. Ich versuchte mich zu sammeln, telefonierte, weil ich nicht alleine sein konnte,  ich versuchte das nötigste zu regeln und fuhr gegen 8 Uhr los Richtung Flensburg. 

Nichtsahnend fahre ich mit meinem Caddy ins Parkhaus. Tja, was soll ich sagen, als wäre nicht alles schlimm genug, dauerte es keine 10 Sekunden, da steckte ich mit dem blöden Dachgepäckträger an der Betondecke des Parkhauses fest. Da brannten bei mir sämtliche Synapsen durch, Gott sei Dank hatte ich fast immer alles im Auto, so auch Schraubenschlüssel und Hammer. Wie eine Verrückte und laut schimpfend schlug ich auf diesen Dachgepäckträger ein, aber es bewegte sich nichts. Nach ca. 15 Minuten, ich mittlerweile völlig fertig, kam der Hausmeister des Parkhauses mit einer Eisensäge in der Hand. Der hatte sich das Schauspiel über Kamera angeschaut und kam nun um mir zu helfen. Ich war nicht die erste, der sowas passiert, meinte er. Weitere 15 Minuten später hatte er das störende Metall abgesägt und ich konnte endlich einparken. 

Fix und fertig und nichtsahnend, was mit dir ist, laufe ich los Richtung Diako.

 

Nach der Anmeldung im Krankenhaus verwies man mich auf die operative Intensivstation, eine Schwester begleitete mich dorthin. Sie durfte nichts sagen, aber man konnte heraushören, dass du operiert wirst. Auf der Intensiv angekommen, musste ich erstmal warten. Mittlerweile war es ca. 10 Uhr. Endlich kommt eine Schwester, sie erzählte, dass du operiert wirst und diese O.P. noch lange anhalten wird. Sie meinte, ich sollte in die Stadt gehen und einen Kaffee trinken, ich sollte dir warme Socken besorgen und Kopfhörer. Was hatte das wohl zu bedeuten.. 

Ich sagte der Schwester aber, dass ich lieber nach Hause fahre, da ich dort noch Tiere zu versorgen habe. Denn ich wusste, dass wäre in Peters Sinne gewesen, dass ich trotzdem an die Tiere denke. Die Schwester gab mir eine Telefonnummer dieser Intensivstation, wo ich später gerne jederzeit anrufen darf, um zu fragen ob die O.P. beendet ist. Sie durfte und konnte mir jedoch keinerlei Auskunft geben, was du hattest. 

Wie in Trance und weinend fuhr ich wieder von Flensburg nach Hause, im ernst, ich hätte in dem Zustand kein Auto fahren dürfen, aber ich hatte mich ja selber dazu entschieden und es ging ja zum Glück alles gut. Gegen Mittag war ich zu Hause. 

 

Erst gegen 15 Uhr die Nachricht aus Flensburg, die OP ist beendet, du wirst jetzt auf die operative Intensiv verlegt und dort an sämtliche Geräte angeschlossen. 

Es geht wieder Richtung Flensburg. Diesmal fahre ich aber nicht selber, dafür bin ich sehr dankbar, ich glaube noch einmal wäre es auch nicht gut gegangen. 

Auf der Intensivstation angekommen, empfängt mich eine Schwester, es ist eine andere als heute morgen. Sie sagt, dass gleich noch ein Arzt kommt um mir zu erzählen was genau los ist. Denn mittlerweile waren ca. 11 Stunden vergangen und ich wusste immer noch nicht was mit dir ist.

Doch erstmal durfte ich zu dir. Ich bin so aufgeregt und habe Angst, weil ich nicht weiß was mich jetzt erwartet. 

Ich betrete das Zimmer, du liegst da an ganz vielen Geräten angeschlossen, du wirst beatmet, die linke Seite deines Kopfes ist rasiert und eine riesige große Narbe ist zu sehen. Du bist also am Kopf operiert worden, was war da passiert, es war ein furchtbarer Anblick.  

Die Schwester sagt mir, dass du im künstlichen Koma liegst. Es wirkte alles so unwahr, solche Bilder kannte ich nur aus dem Fernsehen. 

Ich hatte wieder dieses Gefühl, als würde ich innerlich verbrennen. Da liegst du nun und ich kann dir nicht helfen.

 

Endlich kommt ein Arzt. Leider war der Arzt, der dich operiert hat, nicht mehr da. Somit musste ich mit einem anderen Arzt sprechen.

Dieser erzählte, es ist ein Aneurysma in deinem Kopf geplatzt und du hattest eine schwere Gehirnblutung, er schätzt es ist Grad 5, der schlimmste Grad. Die Blutung konnte während der OP gestoppt und geclippt werden. Meine erste Frage war, ob du wieder gesund wirst.

Er sagte knallhart, dass die Chancen auf Grund der Schwere der Blutung sehr gering sind. Er erklärte, dass ein ein Drittel der Patienten es nicht überleben, ein Drittel bleibt ein Pflegefall und nur ein Drittel schafft es wieder zurück in ein einigermaßen normales Leben. Und er könnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass du zu dem letzten Drittel gehören würdest. Dein Zustand ist sehr kritisch. Die nächsten 3 Wochen werden erstmal darüber entscheiden, ob du überhaupt überlebst oder nicht.

Und so ließ mich der Arzt dort sitzen. Was man in so einem Moment fühlt, kann man nur verstehen, wenn man selber schonmal so eine Situation erlebt hat, ich kann es nicht mal in Worte fassen, es fühlt sich an, als hätte mich ein Bus überrollt, dieser innerliche Schmerz, nicht zu beschreiben. 

Ich weinte und weinte und konnte nicht wieder aufhören. Gott sei Dank war ich nicht alleine da und wurde somit aufgefangen und getröstet.

Die Schwester brachte mir ein Wasser und drückte mir einen Fragebogen in die Hand. Den sollte ich zu Hause in aller Ruhe ausfüllen, dort wird nach deinen Hobbys, deiner Lieblingsmusik, deinem Lieblingsessen, Spitzname, Beruf  und vieles mehr gefragt. So könne das Pflegepersonal besser auf dich eingehen und dich persönlicher behandeln. Ebenfalls sagte sie, dass ich jederzeit, 24/7 dort anrufen darf, wenn mir danach ist, egal welche Uhrzeit. Im schlimmsten Fall würden sie mich natürlich anrufen. 

Ich ging nochmal zu dir ans Bett, an die linke Seite, ich nahm deine Hand. Ich wusste nicht, ob du etwas mitbekommst, wahrscheinlich nicht, aber bevor ich ging, wollte ich dir unbedingt etwas sagen. Ich sagte dir, dass ich dich liebe und dass du jetzt kämpfen musst, Bitte lass mich nicht alleine, du hast mir versprochen, dass du immer wieder nach Hause kommst. Dann ging ich und ich wusste nicht, ob es vielleicht das letzte mal ist, das ich dich sehe. 

Ich wurde nach Hause gefahren, wo ich dann wie von einem Computer gesteuert alles nötige erledigte, um mich dann an diesen Fragebogen zu setzen, den ich ja bis morgen ausfüllen sollte. Als ich fertig war, stand da nun dein Leben in Kurzform auf einem Blatt Papier. 

Ich erinnerte mich wieder an heute Morgen, als  die Schwester sagte, ich sollte warme Socken und Kopfhörer besorgen. Warum hat sie das wohl gesagt.

Mittlerweile war es spät am Abend. Furchtbare Gedanken gingen mir durch den Kopf. Wie wird es weitergehen, mir wurde bewusst, dass ich den Peter den ich seit 18 Jahren kannte und liebte, so wie er gestern noch war, nie wieder erleben werde.

Denn auch wenn du überlebst, wofür ich natürlich betete, dann wirst du ein Pflegefall bleiben, das sagte der Arzt. Es tat mir alles so schrecklich leid für dich, das kannst du dir gar nicht vorstellen, alleine der Gedanke, du wirst irgendwann wach und bekommst mit was mit dir passiert ist und kannst nichts mehr. Mit diesen Horrorgedanken legte ich mich in dein Bett, damit ich dir irgendwie nahe bin. Irgendwann muss ich weinend eingeschlafen sein.

 

Was ich noch erwähnen möchte, es waren heute viele Menschen für mich da und an meiner Seite, dafür bin ich sehr dankbar.

 

 

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