Herbst/Winter 2019
Es war Anfang November und wie sollte es auch anders sein, folgte ein Termin dem anderen.
Beginnen wir mit dem Neurologen, dieses Mal war bereits der neue junge Arzt dort, darauf war ich sehr gespannt.
Er war halb so alt wie ich und wirkte etwas unsicher auf mich. Aber vielleicht täuschte ich mich da auch nur.
Wie jedesmal hatten wir auch heute einen Zettel mit all unseren Fragen dabei. Seine Antworten auf meine Fragen hörten sich an, als würde er diese aus einem Buch vorlesen. Natürlich fehlte ihm die Erfahrung. Im Großen und Ganzen war die Sitzung okay, bezüglich meiner psychischen Probleme riet auch er natürlich zu Psychotherapie und nannte an erster Stelle den Therapeuten, bei dem Mone alle paar Wochen anrief. Als wir ihm dies erzählten, dass wir immer wieder vertröstet werden, guckte er uns mit großen Augen an, meinte dann aber, dass es leider ein großes Problem sei, es gibt einfach zu wenig Psychotherapeuten auf diesem Gebiet. Fertig war er damit. Und wenn eben sonst nichts hilft, müsste man vielleicht irgendwann mal drüber nachdenken, Psychopharmaka einzusetzen.
Ich sagte ihm gleich, dass dies für mich nicht in Frage kommt. Ich bin ja froh, dass ich schon eine Tablette weniger nehme und möchte nun nicht noch was neues dazu einnehmen. Ich wollte es so schaffen, ohne Chemie.
Ein paar Tage später war es endlich so weit, heute sollte die Augen-OP sein. Meine getrübte Linse sollte ausgetauscht werden gegen eine neue künstliche Linse. Ich war sehr aufgeregt. An Mones Verhalten merkte ich, dass auch sie ziemlich aufgeregt war.
Mein Termin war um 10 Uhr. Erst gegen 11.45 Uhr wurde ich aufgerufen. Man erklärte uns, dass sie mich gerne als letzten Patienten nehmen wollten, da der Eingriff etwas komplizierter ist bei mir. Mone hatte ein ungutes Gefühl, erzählte mir aber natürlich nichts davon.
Während ich von nichts etwas mitbekam und mit Scheißegaltropfen ins Jenseits befördert wurde, wartete Mone im Wartezimmer. Nach einer gefühlten Ewigkeit bat eine Arzthelferin Mone in den Vorraum. Die O.P. sei vorbei, aber leider lief es nicht so wie es sollte. Die Linse hat nicht gehalten und ist ins Innere des Auges gerutscht. In dem Moment brachten andere Helferinnen mich in diesen Vorraum, noch völlig high von den Betäubungsmitteln. Mone war völlig aufgebracht, schlug die Hände über den Kopf zusammen, ich verstand nur Bahnhof. Plötzlich lag Mone auf dem Fußboden, ihr Kreislauf verabschiedete sich, zu viel Stress war es in diesem Moment.
Der Augenarzt kam hinzu, Mone bekam auch wieder Farbe im Gesicht und der Plan sollte nun folgender sein. Diese Linse sollte jetzt eine Woche lang im inneren des Auges herumschwimmen und dann wird erneut operiert. Ich sollte für diese Zeit mit einer Augenklappe laufen, da ich ja logischerweise ohne Linse nichts sehen kann. Zusätzlich gab es natürlich Augentropfen, damit das Auge abheilt.
Diese eine Woche Wartezeit kam mir ewig vor und mich begleiteten jeden Tag Angst und Panik. Was ist, wenn ich auf dem Auge nie wieder etwas sehen kann. Mein Ziel, irgendwann wieder als Fliesenleger zu arbeiten wäre dann auf jeden Fall zerplatzt. Ob ich es überhaupt jemals wieder kann, steht ja sowieso in den Sternen, aber mit einem Auge wird es auf jeden Fall nie wieder etwas.
Endlich war der Tag nun gekommen, letzte Woche Donnerstag war die missglückte O.P., die Woche drauf am Mittwoch sollte nun die herumschwimmende Linse entfernt werden und eine neue eingesetzt werden. Ja genau, "Mittwoch" , der Wochentag, der mich ständig begleitet. Wer von Anfang an mitgelesen hat, weiß was ich meine. Wir hofften es ist ein gutes Zeichen und die O.P. läuft dieses Mal glatt.
Man sagte Mone im voraus, dass es länger dauern wird. Sie schwitzte in dieser Zeit Blut und Wasser, weil sie wusste, dass für mich ganz viel da dran hängt und dass ein weiteres Misslingen für unsere sowieso schon schwierige Situation und meine furchtbaren Stimmungsschwankungen absolut fatal wären.
Diesesmal war alles anders, die Helferin kam ins Wartezimmer, hatte ein grinsen im Gesicht und sagte zu Mone, dass die O.P. gut verlaufen ist. Wir sollten am nächsten Tag zur Nachkontrolle nochmal hinkommen, dann wird auch der Verband entfernt.
Uns beiden fiel ein riesen Stein vom Herzen.
Um einmal zu erklären, wie so eine Linsen-O.P. bei einem gesunden Menschen funktioniert, man kann unmittelbar danach wieder mit voller Sehschärfe gucken.
Somit dachte ich für den nächsten Tag natürlich, dass ich auch direkt etwas sehen kann. Leider war dem aber nicht so. Ich sah nur Nebel und alles Verschwommen. Man erklärte mir, dass mein Auge so dermaßen gereizt und angeschwollen ist, zwei O.P.s in so kurzem Zeitraum, dass dauert bis es besser wird. Ein paar Tage später fuhren wir erneut zur Nachsorge nach Flensburg, sehen konnte ich aber immer noch kein klares Bild. Wieder eine Woche später wurde ein Sehtest gemacht, man gerade 10 % hatte ich auf dem operierten Auge. Der Augendruck wurde gemessen, er war zu hoch. Ich bekam Tabletten mit, diese sollte ich 1 x in der Woche nehmen, 6 Wochen lang.
Mittlerweile waren wir schon im Dezember 2019.
Diese ganze Situation mit meinem Auge war für mein Gemüt überhaupt nicht gut, in der ganzen Zeit nach der Augen-O.P. fühlte ich mich immer und immer schlechter. Von den Menschen, von denen ich jetzt Rückhalt gebraucht hätte, war niemand da. Mone war auch mit ihren Nerven am Ende, was ich heute auch voll und ganz verstehen kann.
Einige schlaue meinten, ich sollte vielleicht mal spazieren gehen. Vielen Menschen tut dies gut und hilft dabei, sich besser zu fühlen. Vor meinem Unfall hätte ich diese Leute gefragt, ob sie nicht ganz dicht sind. Zum damaligen Zeitpunkt fühlte ich mich jedoch so hilflos, dass ich nach jedem Strohhalm griff. Ich wollte jedoch nicht, dass mich einer sieht, somit zog ich meine Gummistiefel an und lief auf dem Feld hinter unserem Haus meine Kreise, meistens Abends im Dunkeln. Zuerst 5 km täglich, dann 10 km täglich (dies konnte ich an dem Schrittzähler im Handy sehen).
Auf meiner Tour begleiteten mich immer zwei Sterne am Himmel. Sie waren immer da, jeden Abend.
Wer mich von früher kennt weiß, wie verzweifelt ich gewesen sein muss. Nach einiger Zeit bekam ich starke schmerzen im rechten Bein. Wir gingen von einer Überlastung aus, ich legte das Bein somit öfters hoch und wir cremten es mit Pferdesalbe ein. Die Schmerzen wurden jedoch täglich schlimmer, wir fuhren zum Hausarzt, er gab uns direkt eine Überweisung mit für den Gefäßchirurgen, wo wir auch direkt an dem Tag zwischengeschoben wurden. Der Hausarzt konnte eine Thrombose nicht ausschließen, darum sollte unbedingt nachgeschaut werden.
Das Ergebnis, eine Thrombose war es noch nicht ganz, aber eine Venenentzündung, quasi die Vorstufe der Thrombose. Vermutlich entstanden durch das lange Wandern in meinen Gummistiefeln. Denn ich hatte immer schön meine Hose in die Stiefel gestopft, was natürlich drückte und dann nach mehreren Tagen bei täglich gelaufenen 10 km soetwas hervorrief.
Es wurden mir Heparin-Spritzen verschrieben, die ich 30 Tage lang bekommen sollte und Thrombosestrümpfe, die ich ebenfalls täglich tragen sollte. Als hätte ich nicht schon genug Probleme.
Denn da waren ja immer noch meine Schulter und Nackenschmerzen. Ich war ja bereits in Flensburg bei einem Orthopäden, bei dem nichts herauskam, aber um einfach nochmal eine zweite Meinung einzuholen, hatte ich nun vor Weihnachten noch einen Termin bei einem ansässigen Orthopäden. Jedoch war auch hier alles ohne Befund. Niemand kann mir helfen.
Tja, und nun kommts. Mone sollte ja einmal im Monat bei diesem Neuropsychologen anrufen und endlich schien es, als würde ich Hilfe bekommen, denn 6 Tage vor Weihnachten hatte ich nun endlich meinen ersten langersehnten Termin.
Mone brachte mich bis zur Tür, der Termin sollte eineinhalb Stunden gehen. Mein erster Termin, den ich ohne Mone wahrnahm, richtig gut fühlte ich mich nicht. Die Sitzung begann, der Therapeut saß mir gegenüber mit einem Klemmbrett, an dem viele Zettel hingen, es waren Fragebögen. Ja genau, die ganzen eineinhalb Stunden stellte mir der Therapeut irgendwelche fragen, die ich höchstens zur Hälfte beantworten konnte, weil ich vieles gar nicht verstanden habe. Ich war völlig fertig danach, weil es mir unheimlich viel Kraft abverlangte. Was ebenfalls blöd war, er guckte alle 10 Minuten auf die Uhr, was mich total verunsicherte. Ganz zum Schluss stellte er mir die Frage, wie mir die Sitzung gefallen hat. Ich antwortete mit "Sie haben mir ja nur Fragen gestellt, die ich nicht mal verstanden habe, weiß ich nicht"
Dann meinte er noch, er würde sich im Januar wieder melden zwecks einem weiteren Termin.
Eigentlich sollte mir dieser Termin helfen, aber es zog mich noch viel viel tiefer, als ich eh schon war.
Das Jahr ging zu Ende, Weihnachten und Silvester gingen an mir vorbei, ich fühlte mich gefangen in meinem Körper, vor allem fühlte ich mich alleingelassen von den Menschen, die ich eigentlich so sehr brauchte. Klar, Mone war da, aber dies alles konnte auch sie nicht ersetzen, im Gegenteil, ich wies sie immer wieder von mir ab, wenn sie mich in den Arm nehmen wollte, drückte ich sie von mir weg. Ich war nicht mehr ich...
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"Neues Jahr, aber kein neues Glück"